Der wertvolle Rohstoff Kohle ist Ursprung nicht nur des wirtschaftlichen und sozialen, sondern auch des kulturellen Wohlstands einer ganzen Region. Im Ruhrgebiet und auch in Duisburg hat die Kohlegewinnung einen wesentlichen Anteil am heutigen Reichtum der Kunstsammlungen der Museen.
Das Lehmbruck Museum setzt mit seiner Ausstellung „Reichtum. Schwarz ist Gold“ die Formel „Kohle bedeutet Reichtum“ in eine visuell erfahrbare Form um. Dies erfolgt nicht etwa sozialhistorisch plakativ, sondern unter ästhetischen Gesichtspunkten, welche auf die Entwicklung der zeitgenössischen Installation bezogen werden. So entdeckte eine ganze Künstlergeneration die Kohle mit ihrer Materialität und haptischen Erscheinung für sich. Mit ihrem tiefen Schwarz sowie der mattfetten, unruhigen Oberfläche findet sie sich gerade in den sechziger und siebziger Jahren als Material in der Kunst wieder. Gleichsam löste man sich damit vom traditionellen Konzept der Skulptur – Begriffe wie Antiform, Arte Povera oder Materialästhetik versuchten, die neuen Formen zu fassen.
Auf einer Fläche von etwa 800 Quadratmetern werden insgesamt 48 Arbeiten von 21 Künstlern aus Frankreich, Südafrika, den Vereinigten Staaten, Schottland, Italien, Belgien und Deutschland im Lehmbruck Museum ausgestellt.
Es entwickelten sich unterschiedlichste künstlerische Konzepte, um die Kohle unmittelbar erfahrbar zu machen (Richard Serra, Bernard Venet), den Gegensatz von Eleganz und Rohheit bei ihrer industriellen Verarbeitung aufzuzeigen (Reiner Ruthenbeck, Robert Smithson) oder sie in einen erzählerischen Kontext zu rücken (David Hammons, Marcel Broodthears). Andere banden die Kohle in utopische Konzepte ein (ZERO-Gruppe: Otto Piene, Heinz Mack, Günther Uecker) und reflektierten die gesellschaftlichen Umstände ihrer Gewinnung in kritisch-poetischer Form (William Kentridge).
Auf die Ästhetik früherer Werke reagieren mittlerweile auch Künstler der jüngeren Generation, wie Katinka Bock, Peter Buggenhout, Lara Favaretto, Alicja Kwade oder Lucy Skaer. Der „verborgene“ Reichtum der historischen Arbeiten ist zudem Ausgangspunkt von Auftragsarbeiten an Jürgen Stollhans, Kalin Lindena und Frauke Dannert.
Bernd und Hilla Becher betrachteten mit künstlerischem Blick die Industriewerke als „Anonyme Skulpturen“ – der Titel ihres ersten Bildbandes – und unternahmen es, langjährig eine fotografische Typologie technischer Bauten des Ruhrgebiets und weiterer Regionen zu erstellen. Aus der Serie „Hochofenköpfe“ sind Aufnahmen von Hüttenwerken aus Duisburg und Gelsenkirchen, die zum Teil heute nicht mehr existieren. Bernd und Hilla Becher führten Robert Smithson 1968 zur Gutehoffnungshütte, sie hatten sie mehrmals mit ihren sachlich nüchternen Architekturaufnahmen dokumentiert. Im Vergleich von Bernd und Hilla Becher mit Robert Smithson werden die unterschiedlichen fotografischen Blicke auf die Zeugnisse der Industriekultur besonders deutlich.
Katinka Bock interessiert sich als Bildhauerin für skulpturale Phänomene wie Liegen, Schichten, Bedecken, Lagen, Lagern oder Verdecken. Sie beschränkt sich nicht auf die Ästhetik des Materials, sondern bezieht erzählerische Konnotationen ein, wie in „Le Sol d’incertitude“, einer Formation aus Pariser Pflastersteinen, die wie gewöhnlicher Belag mit Teer geschwärzt worden sind. Materialität und Herkunft des jedes Mal neu arrangierten Bodens - hartes Naturpflaster und mithilfe von Kohle produziertem Teer - treten gleichberechtigt neben die Erinnerung an die Bedeutung der Pflastersteine im Pariser Mai 1968. Charles de Gaulle ließ bekanntlich das Pflaster unter dem Asphalt verschwinden, damit es den revoltierenden Studenten nicht wieder als Wurfgeschosse diente.
Here we Come!, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn (Gruppenausstellung)
Marcel Broodthaers, Konzeptkünstler und Poet aus Belgien, wechselte spät von der Literatur in die Kunst. Sein künstlerisches Werk, das er nur innerhalb von 12 Jahren schuf, ist geprägt vom Nachdenken über die Logik des Sehens und Sprechens. Speziell das Verhältnis von Bild und Wort reflektieren viele seiner Skulpturen, Bilder, Filme, Künstlerbücher und Texte, in denen einfache Alltagsobjekte wie Muscheln, Töpfe, Eierschalen und Kohlestücke zum Motiv werden. Auch zwei mit Baumwolle bandagierte Eierkohlen oder der mit Resten verbrannter Kohle gefüllte Holzkasten spiegeln ein häusliches belgisches Milieu. „Modèle charbon“, eines seiner berühmten Schilder (Planches), stellte ein Bild-Text-Tafel (Rebus) vor, die mit Piktogrammen eine Botschaft verschlüsselt. Die Kohlestücken treten als die zu entschlüsselnden Symbole des Bilderrätsels auf.
Das Thema von Peter Buggenhouts Skulptur ist die Akkumulation von Unbeachtetem, Weggeworfenem, Verbrauchtem und ganz besonders von Staub. Kohlestaub ist allgegenwärtig in jeder Kohlegrube, er haftet an jedem Gegenstand, bedeckt Wand und Boden, und lässt die Umgebung als weiche Masse erscheinen. Buggenhouts „The Blind leading the blind“, Teil einer umfassenden Serie, ist auf einem Stahltisch und hinter Glas platziert. Wie in einem Terrarium oder einer Vitrine präsentiert, wird die staubbedeckte und kaum beschreibbare Akkumulation zum Schauobjekt und zugleich in ihrer Künstlichkeit gesteigert
Ausgehend von einer panoramahaften Projektion, die das Balkenwerk eines Stollen oder einer Grube aufgreifen, hat Frauke Dannert eine theaterhafte Rauminstallation entwickelt, in der Licht- und Schattenspiel, ein Wandfresko und der zu Intarsien collagierte Fußbelag als begehbare Einheit erlebt werden können.
Drei „Gold Tables“ von Lara Favaretto können eine visuelle Analogie zur Suche nach dem Grubengold bilden; sie hat antike wurmstichige Tische, Fundstücke, aufwändig behandelt. Die Insektengänge, die das Holz – wie die Stollen einer Zeche das Erdreich – durchziehen, sind mit Goldstaub aufgefüllt und verfestigen das Möbel. Vom wertvollen Metall sind jedoch nur die kleinen Verschlüsse erkennbar, die als Punkte golden in der alten Maserung aufscheinen. So sind geheimnisvolle Objekte entstanden, die das Graben nach dem wertvollen Bodenschatz als einen alchimistischen Prozess visualisieren.
David Hammons. In „Chasing the Blue Train“ von David Hammons durchfährt eine blau eingefärbte Miniatureisenbahn den Saal, in weiten Schienenschwüngen, die aufgestellte Pianodeckel umschweifen und einen Tunnel aus Kohlebrocken passieren. Die Besucher sind aufgefordert, sich um die Installation zu bewegen, dem Zug zu folgen und die unterschiedlichen Audioeindrücke sinnlich zu erfahren. Rhythmen des Bebop-Jazz aus aufgestellten CD-Playern füllen den Raum und verbinden sich mit dem Surren, Quietschen und Rattern der Spielzeugbahn. Jazz erfüllt den Raum: Aufnahmen der schwarzen Musiker Thelonius Monk und John Coltrane, auf dessen bekanntestes Album „Blue Train“ der Titel der Installation anspielt.
1976 – Abschluss in Politik und African Studies an der University of the Witwatersrand in Johannesburg
Der Animationsfilm „Mine“, 1991, von William Kentridge ist mithilfe von nur 18 Kohle- und Pastellzeichnungen entstanden, die der Künstler einzeln überarbeitete und fotografierte. Aus der Abfolge der radierten und variierten Blätter ergibt sich die filmische Handlung. Der mit Antonin Dvořáks Cellokonzert h-moll, Opus 104, unterlegte Film spiegelt in poetisch-phantastischer Form die Arbeitsbedingungen der schwarzen Bergleute in einer südafrikanischen Zeche. Die einzige weiße Person ist ein Bergwerksdirektor namens Soho Eckstein.
Bei Alicja Kwade wird Kohle in Eleganz gekleidet und als Luxusartikel inszeniert, indem sie Briketts mit Blattgold ummantelt und wie Goldbarren aufstapelt. „Coal (Union)“, eine der wenigen Arbeiten in der Ausstellung, die das Material Gold direkt sichtbar macht, verwendet Union-Briketts, die im Rheinischen Braunkohlerevier in der Kölner Bucht produziert werden. Solche zu Briketts gepresste Kohle diente generationenlang als bevorzugtes Brennmaterial zum heimischen Heizen und kann als nostalgische Reminiszenz an eine Epoche dienen, in der Klimawandel und Umweltschutz unbekannt waren. In Alicja Kwades Geburtsland, Polen, bildet Kohle weiterhin den wichtigsten Brennstoff; insofern symbolisch ist ein in Facetten geschliffenes Kohlestück, als ob es in eine Schmuckfassung aufgenommen werden soll. Wie ein Edelstein wird es unter gläserner Haube auf einem Sockel präsentiert.
When Attitudes Became Form Become Attitudes, Museum of Contemporary Art Detroit (Gruppenausstellung)
Das Relief „Sitzender Bergmann“ von Wilhelm Lehmbruck, das älteste Werk in der Ausstellung, entstand als Entwurf für das Grabmal des ehemaligen Bergwerksdirektors „Friedrich Hohendahl“ für den Friedhof Essen-Bredeney. Die Pose des alten Bergmanns mit Grubenlampe ist angelehnt an die des „Denkers“ von Auguste Rodin (1880-1892), der muskulös und verinnerlicht über das Tun und Schicksal der Menschen nachsinnt.
Seit 2014 Professorin für Malerei und Grafik an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste Karlsruhe
Kalin Lindena thematisiert den Blick von tief unten nach oben, indem sie Fahnen als Symbol und Medium der Gemeinschaftlichkeit über unseren Köpfen aufhängt. Fünf Flaggen, gefertigt aus schimmernd farbigem Glas, jeweils mit Pullovern oder Jacken behängt, erinnern an die Arbeitskleider der Bergleute, welche in den Weiß- und Schwarzkauen hoch unter die Decke gezogen werden.
Reiner Ruthenbeck ist mit „Aschehaufen“ bekannt geworden, Bodenskulpturen, die als Bestandteil der Bewegung Arte Povera Bewegung Ende der sechziger Jahre international ausgestellt worden sind. Den künstlich angehäuften Kegelformationen aus Schlackegranulat, die verschiedenen Metalle durchdringen, eignet gesteigerte Künstlichkeit und Eleganz. Sie sind mit einer Auswahl von Ideenskizzen kombiniert, die zeigen können, wie fantasievoll der Künstler zeichnerisch Ideen um das Phänomen Haufen erprobte. Auch wenn er nicht alle weiterverfolgt hat, erlauben die Bildhauerzeichnungen es, den Künstler beim skulpturalen Denken zu erleben.
Ein frühes Tast-Objekt des deutschen Malers Emil Schumacher, das die taktile Erfahrung ermöglichen soll, erweckt die Illusion schwarzer und staubbedeckter Oberflächen, wie sie uns in Bergwerken begegnen können. Seine materialmimetische Arbeitsweise, es handelt sich um behandelte Weichfaserplatten, konterkariert den Appell zur Berührung.
1957-1961 – Studium der Englischen Literatur an der University of California in Berkeley und Santa Barbara
Der Stahlbildhauer Richard Serra hat gigantische Zeichnungen in tiefstem Schwarz geschaffen, in denen Farbstoff und Papierträger eine dunkle Einheit eingehen. Das schwere Bütten ist mithilfe von Ölfarbe in absolute Dunkelheit getaucht, dessen Oberfläche sich im Nahblick als unruhige Fraktur erkennbar gibt.
Richard Serra Drawing - A Retrospective, The Metropolitan Museum of Art, San Francisco Museum of Modern Art
Lucy Skaer hat eine wegweisende Plastik des Bildhauers Constantin Brancusi „Vogel im Raum“ von 1908 nachgeformt, vervielfältigt und ihre Oberflächen mit Kohlematerial überzogen. 26 identische Exemplare bilden nun ein schwarzes Alphabet. Durch einfache Verfahren wie Multiplizieren und Vertauschen des Materials erreicht Skaer einen vollständigen Verfremdungseffekt für die ehemals hochmoderne und mittlerweile zum Klassiker der Kunstgeschichte gewordene Skulptur.
Der Amerikaner Robert Smithson besichtigte im Dezember 1968 anlässlich seiner ersten deutschen Einzelausstellung eine Schlackekippe neben der Gutehoffnungshütte in Oberhausen. Zu dieser Zeit war bereits die Entscheidung gefallen, das traditionsreiche Eisen- und Stahlunternehmen in den heutigen Maschinenbaukonzern umzuwandeln. Er fotografierte die postindustrielle Landschaft und sammelte Schlackebrocken, die als Abfallprodukt bei der Eisen- und Stahlproduktion entstehen, um sie in die minimalistische Stahlbehälter der Installation „Nonsite Oberhausen“ einzufüllen.
The Poetics of Place: Contemporary Photographs from the Metropolitan Collection, Metropolitan Museum of Art, New York (Gruppenausstellung)
1986-1989 – Studium der Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Erich Reusch, Meisterschüler
In wandfüllender Originalgröße zeigt das Fresko „… mit schlagartiger Schwerkraftentladung“ einen jener Güterwaggons, die für den Transport abgebauter Kohle genutzt worden sind. Darauf hat Jürgen Stollhans mit weißer und schwarzer Kreide Motive aus der Geschichte des Bergbaus gezeichnet. Angeregt ist die monumentale Bild-Text-Collage durch das historische Foto eines Eisenbahnwagens, auf dem Bergleute mit Kreideschrift stolz die Förderung der 500.000sten Tonne Kohle anzeigen.
Bernar Venet hat Anfang der sechziger Jahre eine einfache skulpturale Geste mit Kohlebrocken umgesetzt, welche er im Lehmbruck Museum rekonstruiert. Sechs Tonnen der berühmten Ibbenbürer Kohle, aufgeschüttet zu einem fettig schwarzglänzenden Haufen, scheinen die markanten Halden- oder Kippen des Ruhrgebiets in den Museumsraum zu holen. Die Anthrazitbrocken formen sich zur einheitlichen Masse und bilden eine artifizielle Silhouette vor dem Hintergrund der monumentalen Formate Serras.
Die Künstlergruppe ZERO (Heinz Mack, Otto Piene, Günter Uecker) (1958 – 1966) thematisierte in gemeinsamen Aktionen, Projekten und Ausstellungen, Phänomene wie Licht, Kinetik und Reinheit. 1962/1963 entwickelten sie die utopische Architektur eines Zero-Museums für Gelsenkirchen. Geplant war eine schwarzglänzende Kohlefassade für den würfelförmigen Bau, dessen Ausstellungsräume Kunstwerke der drei Künstler und von Yves Klein enthalten sollten. Die Materialwahl ist untypisch für die Künstlergruppe, deren puristische Ästhetik eher Licht, Helligkeit und Weiß favorisierte, und so als Reminiszenz an die Bergbautradition Gelsenkirchens zu verstehen. Ein Modell des ZERO-Museums, das Heinz Mack 1993 angefertigt hat, ist mit Entwurfsskizzen der drei Künstler aus der Entstehungszeit kombiniert.
Das Projekt „Kunst und Kohle“ wird von der RAG Stiftung, der Brost-Stiftung, dem Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der Kunststiftung NRW gefördert.
Presslufthämmer, Druckluftpfeifen und weitere Maschinen aus der Welt des Bergbaus erzeugen einen „Druckluft Klang-Kosmos“ auf dem Skulpturenhof.
Künstlerin Frauke Dannert im Gespräch mit Jürgen Dehm, Kurator am Künstlerhaus Halle für Kunst & Medien, Graz
Über das Lehmbruck Museum
Das Lehmbruck Museum ist das international bedeutendste Museum für Skulptur der Moderne und der Gegenwart in Europa. Seine Sammlung moderner Plastiken von Künstlerinnen und Künstlern wie Alberto Giacometti, Meret Oppenheim, Pablo Picasso, Barbara Hepworth, Rebecca Horn und natürlich Wilhelm Lehmbruck ist europaweit einzigartig. Beheimatet ist das Museum in einem eindrucksvollen Museumsbau inmitten eines Skulpturenparks mit Werken von Bildhauerinnen und Bildhauern wie Alicja Kwade, Julian Opie, Tony Cragg und Dani Karavan.
Namensgeber des Hauses ist der Bildhauer Wilhelm Lehmbruck, der 1881 in Meiderich, heute ein Stadtteil von Duisburg, geboren wurde. Lehmbruck ist einer der bedeutendsten Bildhauer der Klassischen Moderne. Er hat mit seinem Werk maßgeblichen Einfluss auf nachfolgende Künstlergenerationen und ist auch nach seinem frühen Freitod im Jahr 1919 bis heute einflussreich geblieben.
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