Die ganze Welt ist Netz! Netzstrukturen prägen die Glashalle, das „Schaufenster“ des Lehmbruck Museums, das der österreichische Künstler Peter Kogler (*1959) als neuesten Beitrag zur Reihe „Sculpture 21st“ gestaltet hat. Bis zu 15 Meter breite und über 5 Meter hohe, von der Decke bis zum Boden reichende Stoffbahnen lösen die Grenzen des musealen Raumes auf. Die verschobenen, wie in Schwingungen versetzten Netzmuster Koglers lassen die Betrachtenden in eine andere Realitätsebene eintauchen.
Es ist die erste Ausstellung, die sich so umfassend dem skulpturalen Werk Peter Koglers widmet. 28 Werke aus zwei Jahrzehnten geben einen tiefen Einblick in das Denken und die Motivwelt eines der konzeptstärksten Künstler der Gegenwart. Kogler ist ein Pionier der Medienkunst, der schon 1984 begann, den Computer in den Fokus seines künstlerischen Schaffensprozesses zu rücken. Zugleich bewegt er sich in den verschiedensten Kunstgattungen und Techniken, wie Skulptur, Zeichnung, Film, Videoprojektion und Computeranimation, die er zum Teil in großen Kunstinstallationen im öffentlichen Raum zusammenführt. Vielfach beweist er sich als Meister in der Gestaltung von Räumen, indem er die Wirkmacht der Architektur sichtbar macht und verstärkt. Die Nordhalle des Lehmbruck Museums, ihre Öffnung zum Kantpark und zur Stadt, bietet den Vorbeigehenden nun eine neue Perspektive in die Symbolwelten Peter Koglers.
Innerhalb der großen Installation sind in skulpturaler Form Motive verteilt, die in Koglers Ouevre immer wieder vorkommen. Große stilisierte Gehirne, an der Decke hängend oder auf dem Boden liegend, lassen neuronale Netze assoziieren. Verschiedene Projektionen der Weltkugel auf geometrische Körper („platonische Körper“) veranschaulichen die „Vernetzung“ der Welt in Längen- und Breitengraden. Zugleich ist der Raum von Ameisen bevölkert, die sich subtil in Netzstrukturen einfügen, welche sich wiederum als benutzbare Sitzbänke entpuppen. Kogler kombiniert seine charakteristische Motivwelt zu einem Ineinander von Mikro- und Makrostrukturen. Als universell vertraute, erkennbare Motive stehen sie als zeitlose Metaphern für globale Netzwerke, Informationsströme und ein kollektives Bewusstsein.
Besuchende können sich noch tiefer in den Welten Peter Koglers verlieren, wenn sie einen schwarzen Kubus betreten, in dem sich die Raumerfahrung der Ausstellung noch einmal steigert: Drei Seiten des Kubus bestehen aus Monitoren, die anderen aus Spiegeln. Eine pulsierende, in Schwarz-Grau-Weiß gehaltene Welt aus rotierenden und fließenden Formen umgibt die Betrachtenden und fordert ihre Sinne in schwindelerregender Weise heraus. Begleitet werden die bewegten Animationen durch eine Klangkomposition von Franz Pomassl – einem langjährigen Künstlerkollegen Peter Koglers.
Eine besondere Erweiterung erfährt die Präsentation im Lehmbruck Museum durch Augmented Reality. Alle Besuchenden können auf ihren eigenen Smartphones ein virtuelles Objekt – eine Ameise – sichtbar machen und diese in Koglers vielschichtigem Kosmos platzieren. Die „Mixed Reality“, die der aus typischen Elementen des Koglerschen Symbolrepertoires bestehende Raum bietet, lädt dazu ein, Kunst nicht nur zu sehen, sondern auch zu erleben und sich zwischen Räumen, Ebenen und Realitäten hin und her zu bewegen.
In Verbindung mit der räumlichen Inszenierung in der Nordhalle schafft Peter Kogler auf der Galerie der Glashalle eine gelungene Sammlungsintervention. Mit einer Sitzbank in Form einer Hand mit zeigendem Finger verweist er auf zwei prominente Werke von Antoine Pevsner und Naum Gabo – als Wegbereiter konstruktiver, raumbezogener Skulpturen knüpft Kogler damit an seine historischen Vorbilder an. Im Zentrum von Pevsners und Gabos künstlerischer Arbeit standen nicht Masse oder Volumen der Skulptur, sondern Konstruktion, Linie und Dynamik: Prinzipien, die sich eben auch in Koglers analogem wie digitalem Werk widerspiegeln.
Unter dem Titel „Sculpture 21st” präsentiert das Lehmbruck Museum seit 2014, anlässlich des 50. Jubiläum des Museums, wechselnde Positionen zur Skulptur des 21. Jahrhunderts. Einige der wichtigsten Bildhauer:innen der Gegenwart – unter ihnen Tino Sehgal, Jeppe Hein, Eija-Liisa Ahtila, Julian Opie, Mona Hatoum und zuletzt Shirin Neshat – präsentieren in der ikonischen Glashalle des Museums ihre Werke und zeigten, wie sie die Skulptur im 21. Jahrhundert neu definieren. Dabei werden sowohl dem Museum, der Gesellschaft, aber auch der Kunst selbst Fragen gestellt, auf die es keine einfachen Antworten zu geben scheint. Die Grenzen der Bildhauerei werden in einem der bedeutendsten Museen für Skulptur in Europa neu verhandelt.
Die imposante Nordhalle des Lehmbruck Museums mit ihren über sieben Meter hohen Glasscheiben bildet die architektonische Verbindung zwischen Museum und Öffentlichkeit. Mit jeder weiteren künstlerischen Interpretation dieses Raumes durch die gastierenden Künstler:innen wird die außergewöhnliche Museumsarchitektur Manfred Lehmbrucks stets aufs Neue zu einer einzigartigen Raumerfahrung. Durch die Glaswände sind die eindrucksvollen Werke auch außerhalb des Museums im Immanuel-Kant-Park sichtbar und bilden so die Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit und musealem Raum. Gerade die Reihe „Sculpture 21st“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Grenzen zwischen Außenwelt und Innenraum aufzulösen und die Öffentlichkeit in die Verhandlungen um die Position der Skulptur mit einzubeziehen.
Peter Kogler (*1959 in Innsbruck) ist ein österreichischer Medienkünstler. Ab 1974 besuchte er die Kunstgewerbeschule in Innsbruck. 1993 wurde er Professor an der Akademie der bildenden Künste Wien und leitete ab 1997 die Klasse für Neue Medien. Seit 2008 hat er eine Professur für Grafik an der Akademie der Bildenden Künste in München inne. Kogler gestaltet durch Muster, Computeranimationen und Videoprojektionen begehbare Installationen, die immersive Räume erzeugen. Sein Oeuvre erstreckt sich auch auf Kunst im öffentlichen Raum und im Kontext von Architektur. Er lebt und arbeitet in Wien.
Peter Kogler hat mehrfach an bedeutenden Kunstbiennalen teilgenommen, u. a. an der Documenta IX in Kassel (1992); der 45. Biennale von Venedig (1993); für die 46. Biennale von Venedig gestaltete er den österreichischen Pavillon (1995); an der Documenta X in Kassel (1997) sowie an der Expo 2017 im Astana Contemporary Art Center in Astana, Kasachstan (2017). Peter Kogler hat sein Werk in zahlreichen Einzelausstellungen präsentiert, u. a. auf der Ars Electronic in Linz (1999); im Kunsthaus Bregenz (2000); in der Villa Arson in Nizza (2002), im Kunstverein Hannover (2004); im Kölnischen Kunstverein in Köln (2006); im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig in Wien (2008); Museu Colleccao Berardo, Lisbon (2009); in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main (2010); MSU – Museum of Contemporary Art in Zagreb, Kroatien (2014) sowie im Kunsthaus Graz (2019). Außerdem realisierte er zahlreiche Projekte und Auftragsarbeiten für Institutionen wie die Art Basel, Miami (2007); die ETH Zürich (2015); die Art Brüssel (2016) und das Österreichische Parlament (2023).
„Für das Lehmbruck Museum hat Peter Kogler eine beeindruckende Installation geschaffen, an der auch Passanten und Passantinnen im Kantpark teilhaben können. Diese bewusste Öffnung in den Außenraum zeigt, wie eng Kunst, Architektur und die urbane Lebenswelt miteinander verbunden sind. In den Abendstunden wird das Museum durch die beleuchteten Werke zu einem kulturellen Erlebnis im Herzen Duisburgs.“
„Mit der Reihe Sculpture 21st eröffnet das Lehmbruck Museum spannende Perspektiven auf die Skulptur unserer Zeit – ein Anliegen, das wir als Stiftung mit Überzeugung unterstützen. Die Ausstellung von Peter Kogler begeistert durch ihre kraftvolle Verbindung von realem und virtuellem Raum und lädt zu einer intensiven Kunsterfahrung ein.“
„Peter Kogler gelingt es, mit seiner Kunst die Stimmungen des digitalen Zeitalters einzufangen. Seine Bildcodes sind zugleich universell verständlich und ikonisch: Haben wir sie einmal gesehen, erkennen wir die charakteristischen Netzmuster, Ameisendarstellungen und Gehirne immer wieder. Über die bisherige Dauer seines Schaffens hinweg schuf Kogler ein einzigartiges Bildvokabular, das sich in unser Bildgedächtnis eingeschrieben hat.“
Über das Lehmbruck Museum
Das Lehmbruck Museum ist das international bedeutendste Museum für Skulptur der Moderne und der Gegenwart in Europa. Seine Sammlung moderner Plastiken von Künstlerinnen und Künstlern wie Alberto Giacometti, Meret Oppenheim, Pablo Picasso, Barbara Hepworth, Rebecca Horn und natürlich Wilhelm Lehmbruck ist europaweit einzigartig. Beheimatet ist das Museum in einem eindrucksvollen Museumsbau inmitten eines Skulpturenparks mit Werken von Bildhauerinnen und Bildhauern wie Alicja Kwade, Julian Opie, Tony Cragg und Dani Karavan.
Namensgeber des Hauses ist der Bildhauer Wilhelm Lehmbruck, der 1881 in Meiderich, heute ein Stadtteil von Duisburg, geboren wurde. Lehmbruck ist einer der bedeutendsten Bildhauer der Klassischen Moderne. Er hat mit seinem Werk maßgeblichen Einfluss auf nachfolgende Künstlergenerationen und ist auch nach seinem frühen Freitod im Jahr 1919 bis heute einflussreich geblieben.
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